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Besprechungen
 

Sven Hiemke: War Bachs Witwe arm?

Eberhard Spree: Die verwitwete Frau Capellmeisterin Bach. Studie über die Verteilung des Nachlasses von Johann Sebastian Bach. Altenburg: Verlag Kamprad 2019, 308 Seiten. € 49,80

 

Lange Zeit war unsere Vorstellung von den letzten Lebensjahren der Anna Magdalena Bach (1701–1760) von dem Bild einer mittellosen Witwe geprägt, die ihr Dasein als „Almosenfrau“ fristete und schließlich verlassen und in bitterster Armut starb. War das wirklich so? Eberhard Spree, hauptberuflich Kontrabassist des Gewandhausorchesters Leipzig, ist dieser Frage nachgegangen und hat in seiner 2017 an der Dresdner Musikhochschule entstandenen Dissertation quellen ausgewertet, die der Bach-Forschung bislang unbekannt waren und ein neues Licht auf die Miterbin von Bachs Nachlass werfen.

   Dass sich die Lebensumstände Anna Magdalena Bachs nach dem Tod ihres Mannes Johann Sebastian im Jahr 1750 deutlich verschlechterten und die „verwittwete Frau Capellmeisterin Bach“ tatsächlich finanzielle Zuwendungen der Stadt Leipzig, der Universität und aus verschiedenen Legaten erhielt, ist zweifelsfrei belegt. Allerdings, so betont Spree, wurde der Begriff der „Armut“ seinerzeit in Relation zum gesellschaftlichen Stand und „Almosen“ lediglich als Synonym für Sozialleistungen verwendet: Auch die Witwe eines Kaufmanns konnte Almosen der Stadt beziehen, etwa um ihr Dienstpersonal zu halten.

   Gewiss: Um den Lebensunterhalt einer vierköpfigen Familie zu bestreiten – immerhin hatte die Witwe auch ihre beiden jüngsten Töchter, im Todesjahr Bachs acht und zehn Jahre alt, sowie ihren 26-jährigen, geistig behinderten Sohn Gottfried Heinrich zu versorgen – reichte die Unterstützung der öffentlichen Hand bei Weitem nicht aus. Die finanziellen Mittel für das tägliche Überleben erwirtschaftete Anna Magdalena vielmehr als umtriebige Geschäftsfrau: Spree verweist u. a. auf ihre Tätigkeit als Musikalienhändlerin, die in Zeitungsannoncen aus den 1750er Jahren belegt ist. Auch mit der Vermietung eines möblierten Zimmers könnte Anna Magdalena ihre Bezüge aufgebessert habe – Spree folgert dies im Zuge seiner Ermittlungen zur Verteilung von Bachs Nachlass aus dem Umstand, dass die Witwe die Ausstattung eines mindestens siebenköpfigen Haushaltes einforderte.

   Der wohl spektakulärste Fund aber sich die Dokumente, die belegen, dass der Thomaskantor Anteile an einem Silberbergwerk im Erzgebirge besaß – keine Aktien, die periodische Gewinnausschüttungen erwarten ließen, sondern ein sogenannter „Kux“, der im Gegenteil an die Erwartung finanzieller Unterstützung durch die Anteilseigner geknüpft war. Nach Bachs Tod ging dieser Kux an Anna Magdalena über, die, wie Spree zeigen kann, auch die Subventionierung des Bergwerks fortführte (was eine entsprechende Liquidität voraussetzt). Die wirtschaftliche Stellung Anna Magdalenas – dies zeigt die sorgfältig recherchierte Arbeit überdeutlich –war also alles andere als komfortabel, keineswegs aber von Armut im heutigen Wortsinn geprägt, geschweige denn existenziell bedrohlich.

   Das Buch ist mit zahlreichen Tabellen und Abbildungen historischer Dokumente ausgestattet, Papierqualität und Satzlayout sind jedoch indiskutabel schlecht – als gelte es, zwischen wissenschaftlichem Ertrag und dessen Präsentation einen möglichst großen Abstand zu schaffen. Eberhard Spree hat indes einen gewichtigen Beitrag zur Sozialgeschichte der Neuzeit vorgelegt, der über das Beispiel der „verwitweten Frau Capellmeisterin Bach“ hinaus erhellende Einblicke in die wirtschaftlichen Möglichkeiten einer Frau Mitte des 18. Jahrhunderts gewährt.

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