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8. Die Sängerin. Teil III

Anna Magdalena Bach war am Köthener Hof als Sängerin angestellt. (Siehe Beitrag:Die Sängerin. Teil I“) 1723 zog sie mit ihrer Familie nach Leipzig. Aber auch hier schulte sie weiterhin ihre Stimme. Ihr Ehemann Johann Sebastian bescheinigte 1730, dass sie „einen sauberen Soprano“ singen würde. (Siehe Beitrag: „Die Sängerin. Teil II“) Somit stellt sich die Frage: Welche Möglichkeiten hatte sie nach 1723, um vor Publikum aufzutreten? Leider gibt es dazu keine Zeitzeugenberichte. Es müssen Indizien ausgewertet werden, um Antworten zu finden.


Für den 17. September 1733, einem Donnerstag, schrieb ein Leipziger Student in sein Tagebuch: „Abends von 8. biß 10. Uhr wurde im Schelhafferschen Hause vom Hrn. Capellmeister Görner ein Concert aufgeführet, alwo eine ungemeine Anzahl von Vornehmen sowohl als andern Leuthen geringern Standes zugegen war. Es ließen sich dabey des hiesigen Tantz-Meisters, Nagel, zwey Töchter, die eine im Singen, die andere auff der Flaute-traverse, hören.“ (Talle 2020, Seite 164) Es dürfte sich dabei um eine Veranstaltungsreihe gehandelt haben, die im Leipziger Adressbuch für das Jahr 1732 beschrieben wird: „Der ordinairen Collegiorum Musicorum sind zwey“. Eins trat am „Donnerstags von 8. bis 10. Uhr unter Direction Herrn Johann Gottl. Görners, Organistens bey der St.Thomas-Kirche, im Schellhaferischen Hause auf der Closter-Gasse“ auf, das andere wurde „unter Direction des Herrn Cantoris Bachs bey Hrn. Gottfried Zimmermann, Sommers-Zeit im Garten Mittwochs, von 4. biß 6. Uhr, und Winters-Zeit Freytags im Caffee-Hause, auf der Catharinen-Straße Abends von 8. biß 10. Uhr gehalten.“ (Adressbuch 1732, Seite 57) Das Zimmermannsche Caffee-Haus war eine Institution, die von „Einheimischen als Frembden Hohen und Niedern Standes, Männ- und Weiblichen Geschlechts […] wegen ihrer schönen Gelegenheit, Aussicht, und guten Accommodement, als auch sonst wegen derer sich täglich darinnen ereignenden grossen Assembléen berühmt“ gern besucht wurde. (Iccander 1725, Seiten 87 f.)

Es kann also geschlussfolgert werden, dass auch Anna Magdalena Bach in einem solchen Rahmen hätte auftreten können.

Es gab weitere Möglichkeiten für sie. In einer Anzeige der „Leipziger Zeitungen“ vom 30. April 1749 ist zu erfahren, dass „eine fremde Weibs-Person, welche von einem hohen Hofe verschrieben worden“, in Leipzig angekommen sei. „Selbige ist gesonnen, Morgen den 1. May ein Concert aufzuführen, nicht nur von ausserordenlich-angenehmer Vocal- sondern auch Instrumental Music, insonderheit Violin, worinnen sie ausserordentliche Geschicklichkeit besitzet; ferner in Clavicin, und allerley Instrumenten. Dieses Concert wird aufgeführet im Brühl in drey Schwanen, Nachmittags von 5 bis 7. Uhr“. Die Eintrittspreise lagen zwischen 16 Groschen und 2 Talern pro Person.


Ob ein solcher Auftritt dem Stand der Frau Capellmeisterin Bach allerdings angemessen gewesen wäre, ist fraglich. Sie hatte andere Möglichkeiten, um vor Publikum zu singen. Hinweise dafür liefern Werke ihres Mannes. So komponierte er die Kantate „Schwingt freudig euch empor“ (BWV 36.1). Neben einem Sopran sind in ihr weitere solistische Singstimmen besetzt. Das Werk war für einen Anlass bestimmt, bei dem ein verdienstvoller Lehrer geehrt werden sollte. Die Aufführung fand höchstwahrscheinlich im Frühjahr 1725 statt.

Mit einem anderen Text erklangen die Arien dieser Kantate zum Geburtstag der Fürstin von Anhalt-Köthen. Das Werk ist unter dem Namen „Steigt freudig in die Luft“ (BWV 36.2) bekannt. Im Band 1 der „Ernst- Schertzhaffte und Satyrische Gedichte“ von Picander, erschienen 1727, kann auf Seite 14 der Text nachgelesen werden. Dort ist auch zu erfahren, dass die Aufführung anlässlich „der ersten Geburths-Feyer der Durchlauchtigsten Fürstin zu Anhalt-Cöthen 1726“ stattfand. Bei dieser Jahreszahl muss aber ein Fehler unterlaufen sein. Charlotte Friederica Amalia geborene von Nassau-Siegen, die am 30. November 1702 zur Welt kam, heiratete am 21. Juni 1725 Fürst Leopold von Anhalt-Köthen. Ihren „ersten Geburtstag“ als Fürstin in Köthen beging sie also am 30. November 1725. Auch wurde im Text nicht auf die Geburt des Thronfolgers eingegangen, den sie am 12. September 1726 zur Welt brachte. Dieses Ereignis war für die Dynastie und somit auch für die junge Fürstin von immenser Bedeutung. Darauf bei einer solchen Huldigung nicht einzugehen, wäre wohl als Affront angesehen worden. (Grychtolik 2021, Seite VI) Die Aufführung wird 1725 erfolgt sein und Anna Magdalena Bach dürfte dabei den Sopranpart übernommen haben. In einer Abrechnung vom 15. Dezember 1725 ist zu einem ausgezahlten Geldbetrag nämlich vermerkt: „Dem Leipziger Cantori Bachen und seiner Ehefrauen so sich alhier etzliche mahl höhren laßen“. (Dok II, Seite 153)

Es ist naheliegend, dass sie auch bei der angesprochenen Ehrung des verdienstvollen Lehrers mitwirkte.

Ihr Ehemann hat dieses Werk dann noch mindestens ein weiteres Mal überarbeitet. Mit einem weiteren Text entstand die Kantate „Die Freude reget sich“ (BWV 36.3) zu Ehren eines Mitglieds der Leipziger Familie Rivinus.


Agierten in diesen Fällen mehrere Singstimmen solistisch, so komponierte Johann Sebastian Bach mit der Kantate „O angenehme Melodei“ (BWV 210.1) ein Werk für Sopransolo. Davon ist eine Sopranstimme erhalten, in der deutlich zu sehen ist, dass an etlichen Stellen Worte ausradiert und mit „Flemming“ überschrieben wurden (siehe Abbildung). Dort hatte „Christian“ gestanden, denn im Januar 1729 war die Kantate für Herzog Christian von Weißenfels in seinem Beisein aufgeführt worden. (Tiggemann 1994, Seite 7 ff.) Später änderte Bach den Text, um sie für eine Ehrung des Grafen Flemming nutzen zu können.

Wie auf der Abbildung zu sehen, ist noch eine weitere Zeile unterlegt. So konnte das Werk auch allgemein für „werthe Gönner“ erklingen.

Ausschnitt aus der Sopranstimme der Kantate „O angenehme Melodei“ (BWV 210.1), Satz 10, wobei die Noten von Anna Magdalena, der Text aber von Johann Sebastian Bach geschrieben wurden

(Kraków, Biblioteka Jagiellonska, PL-Kj Mus. ms. Bach St. 72)


Johann Sebastian Bach nutzte es mit einem anderen Text auch für die Hochzeitskantate „O holder Tag, erwünschte Zeit“ (BWV 210.2). Instrumentalstimmen zeigen, dass es davon mindestens zwei verschiedene Versionen gab, die sich in den Rezitativen unterschieden. (Zeitbild 2021, Seiten 68 ff.)

Hans-Joachim Schulze, von 1992–2000 Direktor des Bach-Archivs Leipzig und langjähriger Herausgeber des Bach-Jahrbuchs, fasste das mit folgenden Worten zusammen: „Die anspruchsvolle zehnsätzige Kantate [...] für Sopransolo und Instrumente, die in wenigstens fünf Fassungen für unterschiedliche Gelegenheiten – Hochzeitsfeiern, Geburtstage, Huldigungen – existiert haben muß, demnach ein gern dargebotenes Favoritstück war, dürfte gleichfalls mit der Gesangskunst Anna Magdalenas zu tun haben. Aufschlußreich sind bei dieser Komposition die Verschiedenartigkeit der Arien, die der Sängerin ein hohes Maß an Charakterisierungskunst abverlangen, die Ausdehnung des Werkes mit fast einer Dreiviertelstunde Aufführungsdauer sowie der geforderte Stimmumfang von zwei Oktaven, wobei im Mittelteil der ersten Arie am Ende einer schnellen Passage das dreigestrichene cis als Spitzenton erreicht wird. In Ermangelung anderer Nachrichten über die stimmlichen Fertigkeiten Anna Magdalenas bilden Rückschlüsse dieser Art einen willkommenen Ersatz.“ (Schulze 1990, Seite 34)

Die Hochzeitskantate (BWV 210.2) ist auch in einer Stimme erhalten, die neben der Sopranstimme nur den Generalbass enthält. Johann Sebastian Bach schrieb sie sehr akkurat auf hochwertiges Papier und versah sie mit der Aufschrift „Cantata. la Voce e Basso per il Cembalo“. Das dürfte als Hinweis zu werten sein, dass dieses Werk auch nur durch eine Sängerin mit Cembalobegleitung aufgeführt werden konnte.


Damit sei die Beschäftigung mit der eingangs gestellten Frage nicht abgeschlossen. Weitere Gedanken über Möglichkeiten, die es für Anna Magdalena Bach nach 1723 gab, um als Sängerin aufzutreten, sollen folgen.




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